Landwirtschaft & Stadtgeflüster

Man nehme eine nachhaltige Idee. Zwei junge motivierte Männer mit Vision. Einen Keller in der Brigittenau. Kaffeesud und Pilzmyzelien. Mischt einmal kräftig durch. Das Ergebnis: „Hut & Stiel“ – ein kleiner landwirtschaftlicher Betrieb mitten in Wien, der mit Hilfe von Kaffeesud Speisepilze züchtet. Regionalis hat die beiden Gründer von Hut & Stiel, Manuel und Florian, in ihrem Pilzreich in der Innstraße besucht.

Es scheint wie ein ganz normaler Innenhof – aber nur auf den ersten Blick. Der zweite verrät, dass viel mehr hinter den Gemäuern steckt als man ahnt. Hier werden unter Verwendung lokal vorhandener Ressourcen und umweltschonender Prozesse Speisepilze gezüchtet. Mitten in der Stadt.

 

Hut und Stiel Schwammerl

 

Pilze aus dem Herzen der Brigittenau

Doch dass sie hier im 20. Gemeindebezirk ihre Zelte aufschlagen, war für die beiden nicht von Anfang an klar. Zu viel Renovierungsaufwand war das Urteil der beiden Gründer nach der ersten Besichtigung im Sommer 2014. Doch die Suche nach einem willigen Vermieter gestaltete sich schwieriger als gedacht. „Wir haben oftmals Absagen bekommen, weil die Hauseigentümer gesagt haben ‚Zwei Studenten wollen in meinem Keller Pilze züchten?! Das ist nicht ganz das, was ich mir für mein Haus vorgestellt habe‘“, verraten die beiden Gründer lachend. Also alles auf Anfang und zurück in die Brigittenau, wo sie seit dem Bezug im Dezember 2014 der einzige städtische landwirtschaftliche Betrieb im Bezirk sind. Nach einer sechsmonatigen Renovierungsphase starteten sie dann mit ihrer eigentlichen Vision: Pilze züchten.

 

Hut und Stiel Herstellung

 

Am Anfang war der Pilz…oder doch nicht?

Dabei stand anfangs gar nicht der Pilz im Mittelpunkt. „Wir haben vorher nicht viel mit Pilzzucht zu tun gehabt. Uns hat der Gedanke fasziniert, dass man die Zucht mit einem Abfallprodukt machen kann. Wir kommen also nicht von der Pilzseite sondern von der Ressourcenseite“, verrät Manuel. Die Pilze wachsen nämlich auf Kaffeesud. Dieser wird täglich mit dem Lastenfahrrad von umliegenden Kaffees und Altenheimen abgeholt. Wöchentlich sind das immerhin 800 Kilogramm Kaffeesud, auf dem 80-100 Kilogramm Speisepilze wachsen.

Kellergeschichten

Dieser Prozess passiert in zwei Kellerräumen, unter klimatischen Bedingungen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. In Phase eins werden die Pilzmyzelien mit dem Kaffeesud vermischt und „reifen“ in einem dunklen und warmen Raum. In Phase zwei mögen es die Pilze dann kühl, feucht und hell. That’s where the magic happens. Schwarzer Plastiksack an Plastiksack reiht sich in den feuchten Gemäuern. Das Faszinierende: aus den kleinen Löchern in den Säcken sprießen tatsächlich Pilze. Das klingt nicht nur spannend, das ist es auch. Sobald die Pilze ihre ideale Größe erreicht haben, werden sie geerntet und verkauft. Mit einem Sack kann der Prozess bis zu drei Mal wiederholt werden. Der Rest wird kompostiert und der Kreislauf schließt sich somit. Innovation pur. Das sehen auch die Abnehmer und Fans des kleinen Unternehmens so.

 

Hut und Stiel - Schwammerl Kreislauf

 

Keller mit Charme trifft auf regionale Idee

Der Erfolg gibt ihnen Recht. „Ich glaube, das Konzept spricht deswegen viele an, weil jeder von einem anderen Aspekt angesprochen wird. Die einen finden es cool, dass recyclet wird, die anderen mögen regionale oder vegetarische Ernährung, wieder andere finden Keller mit Charme cool, oder den Aspekt, dass wir mit dem Lastenrad ausliefern“, erklären sie mit Stolz. Im Moment liefern Manuel und Florian an eine überschaubare und „erradelbare“ Kundschaft aus – doch die beiden sind schon auf der Suche nach einem zweiten Standort. Der Wille ist da, die Location noch nicht.

Bis dahin arbeiten die beiden daran, Routineabläufe zu optimieren, um einen schnelleren und besseren Ablauf zu garantieren. Zu den Errungenschaften dieses Gedankens zählt eine Abfüllmaschine, mit deren Hilfe das Pilzmyzelien-Kaffee-Gemisch in die Plastiksäcke abgefüllt wird. Die Plastiksäcke sind den beiden übrigens noch ein Dorn im Auge. Doch keiner der Optimierungsversuche hat hier bislang das gewünschte Ergebnis gebracht. Aber wo ein Wille, da ein Weg – Manuel und Florian sind entschlossen auch hier noch eine Lösung zu finden.

 

Hut und Stiel Schwammerl 2

 

Eine Idee. Drei Geschäftswege.

Bis dahin toben sie sich auf ihren drei Standbeinen aus. Neben der Zucht und dem Verkauf der Pilze bieten die beiden nämlich auch Workshops an, in denen Interessierte lernen können ihre eigene Pilze zuhause zu züchten. Und dank der Kooperation mit „Hiel – vegetarische Feinkost“ produzieren sie auch Pilzpesto, Pilzaufstriche und Pilzsugo. Langweilig wird den beiden mit Sicherheit nicht. Das nächste Ziel: ein eigenes Labor, um sich Freiraum für Experimente mit neuen Pilzsorten zu verschaffen. Man darf also gespannt sein.

 

Hut und Stiel Lastenfahrrad